Über Täler, Kämme und Berge
Erfahrungen bei der Entwicklung von selbsttragenden Faltstrukturen aus Feinblech
Die gängigen Verfahren im Stahlbau für Architektur und Ingenieurbau basieren auf linearen Halbzeugen, welche zu Stabwerken gefügt oder als hierarchische Bauweisen mit Haupt- und Nebenträgern ausgebildet werden. Effiziente Leichtbaukonzepte aus dem Automobil- und Karosseriebau, welche sich neben der reinen Biegewirkung auch räumliche Effekte wie Membran- und Schalentragverhalten zu Nutze machen, bleiben im Bauwesen üblicherweise unberücksichtigt. Zurzeit ist der Einsatz von Feinblechen im Bauwesen auf Fassadenelement-Systeme beschränkt. Eine Ausnahme für die strukturelle Anwendung von Feinblechen bilden die geodätischen Kuppeln von Richard Buckminster-Fuller (1895-1983). Diese hemisphärischen Raumtragwerke bestehen aus gefalteten Blechelementen, deren geometrische Anordnung von einer Tesselierung auf der Grundlage der platonischen und archimedischen Körper, wie zum Beispiel dem Ikosaederstumpf, abgeleitet wurde. Seine Kanten formen ein Netz aus pentagonalen und hexagonalen Maschen mit einheitlicher Kantenlänge, auf deren Grundlage man durch weitere Triangularisierung ein einheitliches Dreiecksnetzes bilden kann. Ein besonders bekanntes Beispiel für diese Kategorie von Kuppeln ist der Kaiser Dome in Hawaii von Donald Richter, 1957, nach dessen Beispiel weitere geodätische Kuppeln für Messegelände oder Freizeitparks errichtet wurden. Vor diesem Hintergrund werden am Lehrstuhl für Tragkonstruktionen seit mehreren Jahren selbsttragende Leichtbau-Systeme aus Blech untersucht. In enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Bildsame Formgebung, RTWH Aachen University (IBF) wurde eine Vielzahl geometrischer Komponenten und Tesselierungen unter Berücksichtigung geeigneter Blech-Umformverfahren untersucht. Ausgehend von Untersuchungen hinsichtlich der Adaption von Falt- und Origami-Prinzipien wurden strukturell günstige Muster für Blechstrukturen entwickelt und auf ihre Tauglichkeit im Produktionsprozess hin evaluiert. Die wichtigsten Aspekte dieser Forschungstätigkeiten, sowie eine kurze Beschreibung der Ergebnisse, werden im Folgenden beschrieben.
Strukturformprinzipien
Ausgehend von der Gestaltung geodätischer Kuppeln, sowie deren gefalteten Dreieck-Paneelen, erweisen sich die Faltung sowie Faltwerkstrukturen als ein besonders geeignetes Prinzip für Konstruktionssysteme aus Feinblech. Faltung ist außerdem ein konstruktives Prinzip, welches sich in verschiedenster Weise in der Natur wiederfinden lässt. Durch Faltung verbessert sich die Tragfähigkeit von dünnwandigem Material, aufgrund der Erhöhung des Trägheitsmoments, welches durch das Mäandern der Querschnittsfläche um die eigene Schwerachse entsteht. Grundsätzlich lassen sich dabei zwei Typen von Faltungen unterscheiden: die Longitudinalfaltung mit parallelen oder leicht schräg laufenden Falzkanten (Täler und Kämme) und die Facettenfaltung (Hügel), deren Kanten sich in Punkten schneiden. Beide Faltarten können sowohl untereinander, als auch mit einer ebenen, ungefalteten Schicht kombiniert werden. Durch die Kombination von planen und gefalteten Elementen entstehen zwei Ebenen mit unterschiedlichen Eigenschaften. Während die planen Schichten und die am weitesten entfernte Bereiche der gefalteten Schicht die Biegemomente aufnehmen, überträgt die mittig liegende, gefaltete Schicht die Scherkräfte. Kombinationen mit der ebenen Schicht werden für kombinierte Konstruktions- und Verkleidungsanwendungen bevorzugt, da die facettierte aber grundsätzlich ebene Fläche beste Voraussetzungen bietet um weitere Schichten mit anderen Funktionen anzubringen (z.B. Wärmeisolierung). Facettierte Faltungen, kombiniert mit ebenen Elementen, können verallgemeinert und auf andere Strukturformprinzipien übertragen werden, die aus nur zwei Plattenschichten bestehen und mit Höckern oder Rippen verbunden sind, welche in einem regelmäßigen Rhythmus verteilt in eine der beiden Platten gestanzt werden. Konstruktiv gesehen, übertragen die Höcker und Rippen die Scherkräfte, während die beiden planen Schichten, an der Ober - und Unterseite, die Biegemomente aufnehmen. Diese Plattensysteme können als Faltleichtbauplatten bezeichnet werden.
Denkt man an ein flexibles Baukastensystem für ein universelles Leichtbau-Tragsystem aus Blech, welches Verkleidung und Konstruktion vereint und sich für standardisierte sowie nicht standardisierte Freiformen eignet, so darf die Geometrie der Tesselierung der Gesamtstruktur nicht mehr aus geometrisch gleichen, sondern vielmehr aus regelmäßigen oder sogar unregelmäßigen Formen bestehen. Als eine Folge daraus variiert die Geometrie der Elemente und - abhängig von der Gesamtgeometrie - unterscheiden sich die Abmessungen der Elemente vollständig voneinander. Einzig und allein die räumliche Struktur (Topologie) der Elemente bleibt konstant. Auf diese Weise wurden modulare durch topologische Bauteile ersetzt und man spricht vielmehr von „Einheiten” als von „Modulen”. Analog dazu könnte ein solches Gebäudesystem, anstatt als „modulares Bausystem" besser als „topologisch basiertes Bausystem” oder „topologisches Bausystem“ bezeichnet werden.
Die Leistungsfähigkeit parametrischer Werkzeuge
Die Entwicklungen in CAD-Systemen mit integrierter Funktionalisierung und Konnotationen, sogenannte „Parametrische Programme”, erlauben es uns nicht nur, uns über topologische Gebäudesysteme Gedanken zu machen, sondern ermöglichen uns gleichzeitig komplexe Geometrien jeder räumlichen Form zu beschreiben und hochkomplexe Tesselierungen und Elementierungen zu erzeugen. Unbeabsichtigte Kollisionen und Überschneidungen der Elemente im Endzustand, aber auch während des Bauprozesses, können im parametrischen Modell im Voraus überprüft werden, und - falls notwendig - kann das Modell angepasst werden. Die Leistungsfähigkeit Parametrischer Werkzeuge ermöglicht die Steuerung der genauen Verortung jedes Elements und dessen passenden Platz im „Großen Puzzle“ der Gebäudeteile, sowie außerdem die Zuweisung von Ortsinformationen für jedes einzelne Element. Die Detaillierung kann wahlweise auch auf die Verbindungselemente und ihre Positionen usw. erweitert werden. Auf diese Weise kann die gesamte geometrische Information jedes Elements und seiner Modifikationen für weitere Optimierungsprozesse und letztlich für den Produktionsprozess zur Verfügung gestellt werden.
Blechumformung für die individualisierte Produktion
Die traditionellen Verfahren der Blechumformung sind an aufwendige Formwerkzeuge und umfassende industrielle Fertigungsanlagen gebunden. Innovative Umform-Verfahren wie die inkrementelle Blechumformung (IBU), in Kombination mit anderen Verfahren wie dem Streckformen (SF) usw., erlauben eine Minimierung dieser Bauteile durch die Einführung einfacher, universeller Werkzeuge in Kombination mit software-basierten, geometrischen Informationen, die das aktive Werkzeug im Blechumformungsprozess steuern. Dabei handelt es sich um einen CNC-gesteuerten Umformstab, der spiralförmige Pfade abfährt, während er das Blech lokal einpresst und dadurch in einer sequenziellen Art und Weise plastische Verformung initiiert, sodass daraus die finale Form des Metallbleches resultiert. Dabei wird nur ein Minimum an Rüstzeit benötigt um topologisch verwandte Blechteile mit unterschiedlichen Abmessungen und Schalungselementen herzustellen. Der Herstellungsprozess der Blechumformung wird so wirtschaftlich, trotz der geometrischen Vielzahl der Teile. Wenn die, mithilfe von IBU produzierten, Teile mit ebenen Blechelementen kombiniert werden, könnten diese durch klassisches Blechbiegen hergestellt werden. Eine andere Möglichkeit der Herstellung individualisierter Blechelemente mit einer doppeltgekrümmten, schalenartigen Form, ähnlich den verallgemeinerten Strukturformprinzipien mit Höckern und Rippen, kann durch die Kombination von IBU und SF sowie Formwerkzeugen aus Holzwerkstoffen erreicht werden. Hierbei werden die gleiche Anlage wie für die IBU verwendet. Jedoch wird statt dem Umformstab ein konventionelles Fräs-Werkzeug verwendet. Auf diese Weise produziert die Fertigungsanlage zunächst durch einen Fräsvorgang das Formwerkzeug aus einem kostengünstigen Material, das schnell und einfach bearbeitet werden kann (z.B. MDF Mitteldichte Faserplatte).
File-to-Factory Prozessketten
Die computergestützte Design und Planung dieser Blechleichtbaustrukturen sowie die Übermittlung der erzeugten Daten an CNC-gesteuerte Produktionsmaschinen stellen eine nahezu ideale, automatisierte file-to-factory Prozesskette dar. Eine vollautomatisierte Fertigung der Komponenten und eine automatische Zuführung der jeweiligen Prozesse wie IBU, Streckformen und Laserschneiden könne zum Beispiel durch Pick-and-Place-Roboter durchgeführt werden. Eine vollautomatisierte Endmontage ist stark von den Dimensionen der Bauteile abhängig und bedarf der Entwicklung spezialisierter Roboter.
Ausblick
Computergesteuerte Methoden wurden in allen Bereichen der Technik weiterentwickelt. Im Bereich des CAD erlauben uns diese Methoden Entwurf, Beschreibung, Erzeugung und Optimierung von komplexen Geometrien, die gesamte Gestaltung und Optimierung eines geplanten Objekts in einer virtuellen Umgebung vorwegzunehmen. Tesselierungen und Elementierungen basierend auf Topologie öffnen den Weg zur Diskreditierung jeglicher Raumformen. Lokale Verstärkung und lokale Strukturverbesserung können nur durch die Variation der globalen oder lokalen Geometrie eingearbeitet werden. Eine solche Raumstruktur könnte durch ein topologisches Gebäudesystem dargestellt werden, dessen Einzelteile nur in ihrer Abmessung variieren. CNC-gesteuerte Maschinen helfen die Produktionsprozesse in verschiedensten Materialien wie Holz oder Blech zu individualisieren. Holz kann als nachhaltiges Material zur Herstellung von „Smarten Matritzen“ und anderen Werkzeugen genutzt werden, die der Blechumformung dienen. Die Konstruktions- und Produktions-Werkzeuge ergänzen sich in einer Weise, dass vollautomatisierte File-to-Factory-Prozesse entwickelt werden können. Dies ermöglicht die Herstellung von geometrisch hoch komplexen Baukastensystemen wie z.B. dem Blech-Leichtbau-Bausystemen auf Basis von gefalteten Elementen, die an der RWTH Aachen entwickelt werden.
Forschungsprojekte
Faltstrukturen aus Feinblech |
Freitragende Strukturen ohne Unterkonstruktion aus nichtrostendem Stahl mittels inkrementeller Blechumformung. |
Feinblechpaneele |
Flexible Fertigung von Feinblechpaneelen zur Erzeugung komplexer Freiformstrukturen. |
Optimierung von Falttragwerken |
Formoptimierung von dünnwandigen Schalenkonstruktionen durch die Überlagerung gefalteter Strukturen. |