Der Bau eiserner Brücken im Südwesten Deutschlands 1844 bis 1889
Mit Holz zum Eisen
Denkt man an die ersten großen, imposanten eisernen Brücken, die nach der Mitte des19. Jahrhunderts in Deutschland errichtet wurden, so assoziiert man damit die Firmen an Rhein und Ruhr- Harkort, die Gutehoffnungshütte oder MAN. Dabei wird leicht übersehen, dass in dieser ersten Phase der Industrialisierung auch an anderen Orten eine eisenverarbeitende Industrie erfolgreich tätig war. Einer dieser Orte war Pforzheim mit der dort ansässigen Firma Gebrüder Benckiser. Diebeiden wichtigsten Standortfaktoren für den dortigen Hüttenbetrieb waren das Holz und die Wasserkraft. Anders als an der Ruhr gab es in Pforzheim keine Steinkohle. Aus dem Hüttenbetrieb entstand ein Eisenwerk mit überregionaler Bedeutung. Mehr als vier Jahrzehnte lang baute die Pforzheimer Firma eiserne Brücken für die Eisenbahngesellschaften in Baden, in Württemberg, in Hessen und der Bayerischen Pfalz sowie in der Schweiz und in Österreich-Ungarn. Nach der Reichsgründung 1871 war es für die Pforzheimer Firma aber zunehmend schwierig, dem Konkurrenzdruck der großen Firmen an Rhein und Ruhr stand zu halten. Der Betrieb musste eingestellt werden, die Firmengeschichtegeriet weitgehend in Vergessenheit. Diesem Umstand ist es vielleicht zu verdanken, dass Archivalien aus dem Besitz der Familie Benckiser bisher unentdeckt und unerforscht, aber erhalten geblieben sind und es jetzt möglich machen, die Geschichte der Brückenbauanstalt Benckiser nachzuzeichnen und ihre Bedeutung für die Bautechnikgeschichte neu zu bewerten.
Gitterträgerbrücken und Taktschiebeverfahren
Die beschriebenen eisernen Brücken der 1840er Jahre waren vornehmlich auskohlenstoffhaitigern und damit hartem aber sprödem Gusseisen errichtet worden. Den Eigenschaften des Materials entsprechend handelte es sich um druckbeanspruchte Bogentragwerke. Damit waren sie eng verwandt mit der ersten eisernen Brücke, die mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor, 1779, im englischen Coalbrookdale fertiggestellt wurde. Für mäßig belastete Straßenbrücken wiesen diese Konstruktionen eine ausreichende Tragfähigkeit auf, für hoch beanspruchte Brücken der Eisenbahn mit dynamischen und sich verlagernden großen Lasten der Lokomotiven und Wagen waren sie auf Dauer nichtgeeignet. Forciert durch den raschen Ausbau des Schienennetzes bemühten sich die Ingenieure unter Verwendung des höher beanspruchbaren und beständigeren weilzäheren Schmiedeeisens geeignetere Trag· und Bausysteme zu entwickeln. Ein erstes in ganz Europa viel diskutiertes Ergebnis dieser Bemühungen konnte ab 1850 auf der Eisenbahnstrecke von Chester nach Holyhead in Nord-Wales in Augenschein genommen werden: die Britannia- und die Conway-Brücke mit ihren riesigen röhrenförmigen Trägern aus schmiedeeisernen Kesselblechen. Auf diesem Konzept basierten auch die beiden großen Eisenbahnbrücken bei Dirschau und bei Marienburg, die nach langen Jahren der Planung, der Umplanung und des Baus 1857 eröffnet wurden. Im Unterschied zu den englischen Vorbildern waren hier die Tragwände aufgelöst in kreuzweise angeordnete schmiedeeiserne Bänder. Diese als Gitterträger bezeichnete Konstruktionsweise war ähnlich wie die der gusseisernen Bogenbrücke mit Schwächen behaftet, brachte aber produktionstechnische Vorteile mit sich, die nicht nur die Herstellung des Trägers und seiner Teile betraf, sondern auch die Errichtung ganzer in dieser Weise konstruierter, ein- und mehrfeldriger Brückenzüge.
Vom Gitterträger zum Fachwerk
Zwischen 1856 und 1858 hatte die Pforzheimer Firma Gebrüder Benckiser mehrere große Gitterträgerbrücken für die Schweizer Eisenbahngesellschaften ausgeführt. Entgegen den Entwicklungen in Preußen handelte es sich dabei um gelenklose Durchlaufträger über drei oder vier Felder. Für diesen Brückentyp optimierte Benckiser den Bauvorgang: der Kastenträger, gebildet aus den Gitterträgern und den Querträgern, wurde auf einer Widerlagerseite vorgefertigt, dann mittels Walzen und einem Hebelmechanismus freiauskragend auf die Pfeiler und schließlich bis auf das jenseitige Widerlager hinübergeschoben. In diesem Bauverfahren, das heute als Taktschiebeverfahren vor allem im Betonbrückenbau Anwendung findet, errichteten die Gebrüder Benckiser zwischen 1859 und 1860 zweigrenzüberschreitende Eisenbahnbrücken: die Rheinbrücke Waldshut-Koblenz und die Rheinbrücke Kehl-Straßburg. Erst nach 1860 ging man im Südwesten zum Bau mehrgliedriger Streben- und Ständerfachwerkträger mit parallelen oder gekrümmten Gurten über.
Literatur
Der Bau eiserner Brücken im Südwesten Deutschlands 1844 bis 1889 - Mit Holz zum Eisen (Teil 1) |
Trautz, Martin Voormann, Friedmar |
Trautz, Martin Voormann, Friedmar |
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Trautz, Martin Voormann, Friedmar |